Luzide, griechische Träume

„Nachdenklich und behutsam geht es bei Danae Sioziou zu. In ihren eleganten Gedichten denkt sie über die Welt als eine mögliche Landschaft nach und macht uns konkrete Deutungsangebote. Wir begehen den Körper, begehen Träume und streifen die Mythologie. Die Verse changieren zwischen abstrakten Überlegungen und konkreten Szenen“, schreibt Kevin Junk über Mögliche Landschaften im österreichischen Magazin Buchkultur (213). Und weiter: „In anderen Momenten wirft sie sich komplett in die Szene, wie in ‚Berlin‘: ‚als wir drin sind, knöpfen sich/ die meisten bis zum Hals zu/ und tanzen‘. Ihre Annäherung an Antigone erinnert an die Arbeit von Louise Glück, die ebenfalls weiblichen Figuren aus der griechischen Mythologie eine psychologische Grundlage gibt. Auch Glück macht aus diesen Figuren plastische Charaktere mit Handlungsspielraum. Bei Sioziou übersetzt sich das so: ‚was, wenn Antigone ein Schwert gehabt/ und ein Pferd, um fortzureiten‘. Die Texte von Sioziou in Mögliche Landschaften wurden von Elena Pallantza und Peter Holland ins Deutsche übertragen. Gegenwartslyrik schafft es viel zu selten von einer Sprache in die andere – dabei kann das Ergebnis so lesenswert sein wie hier. Ein schmaler Band, der die Einladung ausspricht, in seinen Landschaften zu blättern und Möglichkeiten zu verweilen.“

Jen Calleja: Ich habe das früher schon einmal getan

Mit dem Gedichtband Ich habe das früher schon einmal getan der britischen Dichterin und Übersetzerin Jen Calleja setzen wir unsere internationale Lyrikreihe fort. Callejas Aufmerksamkeit für die Feinheiten und Täuschungen der Sprache zeigt sich in einem scharfen und spielerischen Witz, der die Gedichte belebt und ihr Bezugsfeld erweitert. Ihr Gespür für die musikalischen und rhythmischen Qualitäten der Sprache verankern die Gedichte in einer erkennbaren und zugänglichen Realität, die die Einfachheit der Sprache von Songtexten mit einer philosophischen Intensität und Neugier verbindet, die ständig hinterfragt.

Viele der Gedichte sind autobiografisch und thematisieren den Migrationshintergrund von Callejas maltesischem Vater, die lebenslange psychische Erkrankung ihrer Mutter und die Asperger-Diagnose ihres Bruders sowie die Auswirkungen dieser Erfahrungen auf ihre eigene Identität. Die Auswirkungen dieser Erfahrungen spiegeln sich in ihrer Sorge um diejenigen wider, die in der Gesellschaft ausgegrenzt, falsch repräsentiert und als Last empfunden werden. Als langjährige Schlagzeugerin und Sängerin einer Punkband fließen Aspekte von britischer Subkultur und politischer feministischer Arbeit mit ein.

Die Übersetzung aus dem Englischen besorgte Melanie Katz.

Jen Calleja: Ich habe das früher schon einmal getan. Gedichte aus dem Englischen von Melanie Katz, 58 Seiten, Preis: 12,- € – ab sofort lieferbar

Jen Calleja ist die Autorin von Vehicle: a verse novel (Prototype, 2023), Dust Sucker (Makina Books, 2023), I’m Afraid That’s All We’ve Got Time For (Prototype, 2020), Goblins (Rough Trade Books, 2020), Hamburger in the Archive (if a leaf falls, 2019) und Serious Justice (Test Centre, 2016). Mit ihrer Übersetzung von Marion Poschmanns Die Kieferninseln stand sie auf der Shortlist für den Man Booker International Prize 2019 und war die erste Stipendiatin des Translator-in-Residence Programms an der British Library. Jen ist Mitherausgeberin bei Praspar Press, wo zeitgenössische maltesische Literatur in englischer Sprache und in englischer Übersetzung veröffentlicht wird. Sie lebt in Hastings, Großbritannien.

Melanie Katz studierte Sozialpsychologie und Deutsche Literaturwissenschaften und promovierte zu Geschlecht als Kategorie des Wissens vor dem Strafgericht an der Universität Basel. Melanie Katz lebt in Zürich, forscht zu Wissen um Pflanzen und arbeitet als Autorin, Übersetzerin und sie ist Initiatorin, Kuratorin und Dichterin vom Dienst beim Einsamen Begräbnis und wurde dafür in 2020 mit dem An- erkennungspreis der Literaturkommission der Stadt Zürich geehrt. Für ihre wissenschaftliche und literarische Arbeit erhielt sie diverse Auszeichnungen und Preise.

Auf der anderen Seite der Sicherheit

„Minimalistisch, mit angelegtem Sog, sehr klar kommuniziert Gips ein fragiles Bildaufbauen. Schmale Texte, ein paar Kapitelzäsuren, eingestreute Collagen der Autorin vermitteln ein Gefühl vom Kartenlegen. Ein einziger Text, der letzte, geht über die Seite hinaus. Dann versandet es. Was bleibt? Möglicherweise das grundsätzlich mit Gips assoziierte, ein instabiles System aus Momenten“, schreibt Jonis Hartmann über den Gedichtband von Kathrin Bach.

Und weiter: „dass doch alles da ist lautet ein Abschnitt – dass aber das Gegenteil davon dräut, ist unausgesprochen in beinahe allen Versen zu spüren. Kippbildern nicht unähnlich, ziehen manche Gedichte in Peinigendes, andere lösen nur scheinbar etwas auf. Manche vergewissern sich einfach. Dabei steht Bachs Sprache jedoch auf der anderen Seite der Sicherheit. Gerade weil sich die Worte ihrer selbst, in ihrer Syntax, in ihren Bedeutungen sicher sind – von Alltagssprache, schwellenlos ‚halli hallo‚, bis Bilderreichtum – wirkt das aufgerufene Mehrdeutige verunsichernd. Das ‚feste wissen‘ befindet sich in einer Schleife.“ Der ganze Beitrag ist bei Textem nachzulesen.

Diasporische Formen

„Mit dem vorliegenden, aus dem Hebräischen [von Gundula Schiffer] mustergültig übertragenen Band Das kleine Boot in meiner Hand nenn ich Narbe hat Mati Shemoelof in fünf Abschnitten über die Geschichte seiner Familie geschrieben – und über die Gegenwart“, schreibt Nils Jensen im österriechischen Literaturmagazin Buchkultur (Nr. 212). „Im dritten Teil (…) schreibt er über die Zeit – auch über das Trauma – als Soldat im Militärdienst seines Landes, bis er schließlich den Dienst in den besetzten Gebieten verweiget. In Teil Vier ‚Babylon-Berlin‘ (…) geht es um die verschiedenen Sprachen, Hebräisch, Deutsch, Englisch, wodurch diasporische Formen gefunden werden.“

Die nächste Lesung von Mati Shemoelof findet übrigens am 25. April 2024 im Kulturraum Synagoge Lippstadt statt.

Zu den Naturwissenschaften, zur Mathematik

„Unschärfe, oder positiv formuliert, Vieldeutigkeit erzielt Ast in ihrer Lyrik auf formaler Ebene vor allem, indem sie Satzzeichen weglässt, durchgängig Kleinschreibung benutzt und häufig Satzbrüche verwendet. Die Zeilen sind manchmal in Blocksatz gesetzt, ein andermal unterschiedlich weit eingerückt, sodass sie an Computercode erinnern, mit Schrägstrichen inmitten der Zeilen als Pausen. Dazu Klammerungen, zum Teil als Einschübe, wobei sich einige offene Klammern vielleicht erst weit im nächsten Absatz schließen, andere gar nicht und manche geschlossenen Klammern haben sich nie geöffnet: Was zunächst sperrig anmutet, ist eine Aneignung, öffnet visuell wie inhaltlich die Poesie zu den vermeintlich prosaischen Naturwissenschaften, zur Mathematik hin. Es ist aber auch eine Öffnung des poetischen Raums selbst, eine Hinwendung dorthin, wo Form und Bedeutung von Sprache nicht schon be- und abgeschlossen sind, eine Zuwendung zu einem offenen Erfahrungshorizont. Vielleicht lässt sich ja deswegen, wie eingangs behauptet, in dieser Sprache kaum lügen, weil sie Möglichkeitsfelder und Erfahrungsräume entwirft, bei denen es vorrangig nicht um binäre Entscheidungen zwischen wahr und falsch geht“, schreibt Manfred Roth über vibrieren in dem wir von Ann Kathrin Ast in einem Beitrag auf literaturkritik.de, wo man ihn in ganzer Länge lesen kann.

Brotfische

„Sollte man langsam lesen. Und laut. Schon um herauszufinden, was die Brotfische bezeugen können. Wunderbare Spracherkundungen, schön illustriert mit Tuschezeichnungen von Simone Cayé“, schreibt Mladen Gladić über Polle und Fu von Karin Fellner in der Beilage Das sind die besten Bücher für den Frühling zur Leipziger Buchmesse in der WELT (25.3.24).

Lyrikempfehlungen mit Ana Pepelnik

Auf der diesjährigen Lyrikempfehlungsliste der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung u.a. steht auch der Gedichtband nicht fisch von Ana Pepelnik in der Übersetzung aus dem Slowenischen von Amalija Maček, Matthias Göritz, Adrian Kasnitz und Thomas Podhostnik. Nico Bleutge schreibt dazu: „In einem dieser Gedichte sind die Häuser weiß und schweben. Aber die Sprecherin hat sich eine Mütze über Augen und Ohren gezogen. Ana Pepelnik schreibt Verse, die gecrashten Idyllen gleichen oder dem Lichtschimmer auf einem See voller Dämonen. In ihnen pulst die Sehnsucht nach einer ‚urgeschichte. als alles nur ein einziges / großes herzschlagen war‘. Doch so, wie die Suche nach Lebendigkeit und Euphorie hier immer schon von Schmerz durchschossen ist, hat der liedhafte Ton etwas Hypnotisches, das tranceartige Beruhigung genauso kennt wie Nervosität und Angst. Bei so viel Lust auf Paradoxien und Vielstimmigkeit ist es nur konsequent, dass sich gleich zwei Übersetzungsteams an die Arbeit gemacht haben, Amalija Maček und Matthias Göritz sowie Adrian Kasnitz und Thomas Podhostnik. In ihren Versionen wird erlebbar, wie genau Ana Pepelnik die semantischen Bezüge verschiebt oder auf die Energie einzelner Wörter setzt. Als könnte die Sprache die ganze Welt gebären: ‚magma lava / erdöl rosmarin sterne erdbeben lavendel sturzbach sintflut / erdrutsch salbei. geruch geschmack gespür gehör. die sicht.'“