Mira Mann: Lovesongs

„Lea schob ihre Hand von hinten in Charlottes, bis sich ihre Handgelenke berührten, die weiche Haut zwischen ihren Fingern. Es löste ein Kribbeln in ihr aus, sie frage sich, ob Charlotte die Berührung mochte, sie zeigte keine Reaktion. Lea winkelte ihre Finger ab, schob die Hand wieder etwas zurück und streichelte sanft Charlottes Handrücken. Ihr Blick blieb nach vorne gerichtet, weißer Rauch stieg aus Nase und Mund, Augen etwas glasig. Sie schluckte und die Tränen zogen sich wieder zurück. Lea beobachtete sie von der Seite, scannte ihr Profil, flaches Kinn, schmale, spitze Nase, sie wartete noch ein paar Momente und zog dann ihre Hand zärtlich zurück.“

Mira Mann schreibt Schichten in Geschichten und schichtet ab, frei, nähert sich, ist eine Suchende. Ihre Stimme schält sich aus tausend Gestalten, die erstehen, zerfallen, sich neu bilden. Es sind die Zwischentöne, in denen die Gewissheit mäandert. Verstehen, eintauchen, so nah ranzoomen wie möglich. Dabei Distanz wahren, um Nähe zu beschreiben. Sie setzt sich aus. Sie will dahin, wo das Eis dünn wird, dahin, wo es weh tut. Sie sagt, was sie sagen kann, und hört dort auf, wo sie mit der Sprache nicht mehr weiterkommt.
Ein Raum für Verletzlichkeit, der sich roh und pur ausbreitet, grenzenlos, bevor er sich in Nebel tarnt, eine Auflehnung, eine Flucht nach vorne, nicht entziehen will sie sich, der Raum dehnt sich aus, antastbar, unvorhersehbar, wie das Verlangen, eine zärtliche Landschaft.
Ihre Sprache vibriert an den Körperwänden und Herzkammern, den geschmückten und gefeierten Grenzen, sie fließt über die Haut ab in den Mund, in das Ohr, in die Bewegung, fließt zurück in das limbische System, zurück in die Zersplitterung in tausend Adern. Wie fühlt sich da:zwischen an? Loops, schweben, drehen, wenden, solange bis sich die Welt zu ihr durchdrückt. Dann nochmal von vorne.
In ihren Büchern, in ihrer Musik, in ihren Perfomances kreiert Mira Mann elektrisierende Rhythmen, die leise atmen, ganz wie von selbst den Takt vorgeben, Bewusstseinsliebkosungen.
Nach Gedichte der Angst, Komm einfach und Kontrolle legt sie mit Lovesongs ihren vierten Gedichtband in der parasitenpresse vor, nach rot, gelb, blau nun grün.

Blicke aushalten, die eigenen, die anderer, sie dehnen sich und bleiben haften auf der Haut, Mira Mann schaut genau hin, arbeitet akkurat, seziert weich, verknüpft Kosmen der eigenen Identität. Sie folgt den Dingen intuitiv, die sie erzittern lassen, rasend vor Angst und Sehnsucht, die sie nicht ganz versteht, die wir nicht ganz verstehen, die da ist, solange sie unerfüllt bleiben, die sich transformieren und immer neue Wege bahnen, das Ankommen im Gehen, Sinnhaftigkeit im Prozess, ablösen, auflösen.
„Mach mich weich
Wühl mich auf
Leg mich frei“
Liebeslieder an das Leben, Liebeslieder an die Zweifel, das Große und Leise und Erstaunliche und das Banale, die Zwischenräume, Leerstellen, die Scham, die Überforderung, die Ausdehnung und Endlichkeit. „Sie hatte nur diesen einen Körper, es kam ihr wenig vor“, heißt es. Spürbar die Lust an der Grenzüberschreitung, ich spüre, ich rieche, ich schmecke, ich gebe mich hin. Die Frage nach dem ich und dem wir und dem ich im wir. Den eingeschriebenen Erzählungen in den Hautschichten, flirrende Energiefelder, es sind nicht nur du und ich, es ist immer auch das andere. Das zarte Unverständnis an der Welt.
„Ich lasse die Wiederholung in meinen Körper, ich stelle keine Fragen, ich komme mit“, schreibt Mira Mann. Und wir? Wir auch. (Anne Stukenborg)

Mira Mann: Lovesongs. Gedichte, 56 Seiten, Preis: 12,- € – ab sofort lieferbar

Mira Mann arbeitet transdisziplinär in den Bereichen Lyrik, Musik und Performance. Auf radikal persönliche Weise beschäftigt sie sich mit Sex, Krankheit, Mutterschaft und Gewalt. Dabei bringt sie gängige Rollenklischees und gesellschaftliche Zuschreibungen zum Schwingen. Sie knüpft mit ihrer Arbeit Verbindungen zwischen Akteur:innen unterschiedlichster Genres und übertritt dabei bewusst die Grenzen der sogenannten Hoch- und Subkultur. Mira Mann lebt in Wien und München. Lovesongs ist ihr vierter Gedichtband bei der parasitenpresse. Zuvor erschienen Kontrolle, Komm einfach und Gedichte der Angst.

Kathrin Bach: Gips

Mit Gips legt die Berliner Dichterin Kathrin Bach ihren ersten größeren Gedichtband vor (nach dem Lyrikheft Schwämme). Ihre Texte sind eine Einladung, die Zartheit und Verletzlichkeit der Welt mit voller Wucht zu erleben und die Sprache als den Anker zu begreifen, der sie sein kann. Den fein gearbeiteten Sprachgebilden stellt sie Collagen zur Seite. „vielleicht war das ich / als ich mir beim schlafen zusah / meine mutter war, die getanzt hat / halbblind, aus gips, aber nur halb“.

Kathrin Bach liest erstmals aus dem Band am 23. März bei der Leipziger Buchmesse (Teil der Bewegung, HGB, 20 Uhr) und am 16. Mai in der Berliner Brotfabrik.

Kathrin Bach: Gips. Gedichte, 58 Seiten, Preis: 12,- € – ab sofort lieferbar

Kathrin Bach, 1988 in Wiesbaden geboren. Sie studierte Kulturwissenschaften und Literarisches Schreiben in Hildesheim und ist ausgebildete Buchhändlerin. Mit ihrer Lyrik wurde sie zum 22. open mike eingeladen und erhielt den 2. Preis beim Lyrikpreis München 2014. 2017 erschien ihr Lyrikdebüt Schwämme in der parasitenpresse. Für die Arbeit an ihrem Romanprojekt Lebensversicherung erhielt sie u.a. 2022 das Residenzstipendium für Literatur im Künstlerhaus Lauenburg. Sie lebt als freie Autorin und Lektorin in Berlin, wo sie auch regelmäßig Collagen klebt und Schreibworkshops hält.

Danae Sioziou: Mögliche Landschaften

Die neuen Gedichte der griechischen Dichterin Danae Sioziou führen in „mögliche Landschaften“, die sich zwischen antiken Motiven und modernen Leben aufspannen. Sie beschreiben eine Generation junger Menschen auf der Suche nach einem Ort, setzen sich mit Freunden, Familie, Eltern auseinander und spüren das Dunkle auf, die Bedrohung und Verletzlichkeit von Liebe, Körper, sozialem Gefüge – von unserer Welt. Das griechische Original erschien 2021 und stand auf der Shortlist zum griechischen Staatspreis.

Ins Deutsche gebracht haben die Texte Elena Pallantza und Peter Holland.

Danae Sioziou: Mögliche Landschaften. Gedichte aus dem Griechischen von Elena Pallantza und Peter Holland, 68 S., Preis: 12,- € – ab sofort lieferbar

Danae Sioziou, 1987 geboren, aufgewachsen in Karlsruhe und in Karditsa, studierte Anglistik, Europäische Geschichte und Kulturmanagement in Athen und Berlin. Heute lebt und arbeitet sie in Athen. Sie ist Mitglied des europäischen Poesiefestival-Netzwerks Versopolis, der Werkstatt für die Geschichte des Buches an der Universität Athen und Mitorganisatorin des Festivals für Gender und Literatur Lila Medusen. Ihr Lyrikdebüt Nützliche Kinderspiele (Antipodes 2016, parasitenpresse 2019) wurde mit dem Staatspreis für junge Autor*innen und dem Jannis-Varveris-Preis des Griechischen Schriftstellerverbandes ausgezeichnet. Mögliche Landschaften (Antipodes 2021), ihr zweiter Gedichtband, stand auf der Shortlist des Staatspreises für Lyrik 2022.

Elena Pallantza (*1969) lebt als Gräzistin, Literaturübersetzerin und Autorin zwischen Athen und Bonn. 2013 gründete sie an der Bonner Universität den Übersetzungskreis LEXIS, mit dem sie griechische Lyrik und Prosa ins Deutsche überträgt (u.a. Giorgos Lillis, Kostas Mavroudis, Jannis Ritsos, Danae Sioziou) und 2018 den griechischen Staatspreis für Literarische Übersetzung erhielt. Daneben übersetzt sie auch deutschsprachige Lyrik und Prosa ins Griechische.

Peter Holland (*1982) lebt als Literaturvermittler und Spracharbeiter in Berlin. Organisator und Kurator von Lesungen, Verlagspräsentationen und Büchermärkten, Literaturausstellungen und Buchbinde-Werkstätten. Herausgeber, Lektor und Mitübersetzer diverser Lyrikbände.

Zusammen übertragen sie seit 2020 ausgewählte Gedichte griechischer Lyriker*innen von der Moderne bis zur Gegenwart für Publikationen und Veranstaltungen, u.a. Andreas Embirikos, Nikos Gatsos, Konstantina Korryvanti und Eleni Tzatzimaki.