Jelena Jeremejewa: Since September I have been wanting to go to Kyiv

On the sad anniversary of the Russian war we publish Jelena Jeremejewa’s Ukraine journal in English translation.

Berlin filmmaker and author Jelena Jeremejewa was visiting her family in Kyiv at the beginning of the war. In her journal Since September I want to go to Kyiv she reports on the first days of the war, on her escape and the thoughts and fears she, her family and her friends have had in these days, weeks and months. She is aware of the different perspectives with which Germans / Western Europeans and Ukrainians view the events of the war, and tries to convey the Ukrainian view. The diary covers the period from mid-February to early May.

„16.2.2022
I have been wanting to go to Kyiv since September. To my father and my friends. There was always something getting in the way. Deadlines, half-term holidays, working on my relationship and working on looking after things, simply working, German Christmas, New Year, my 40th birthday, and then Omicron. On February 16th I am finally ready to go. Finally going home.
The mood in the packed aeroplane is sombre. Just a few German journalists who can still find something to laugh about, swapping notes on a really delicious and indescribably cheap sushi in Kyiv. My brother picks me up from the airport. I breathe the familiar February air, fresh and full of exhaust fumes. The language wraps itself around me like a blanket and makes me feel safe. People are glad to see their friends and family who are there to pick them up. Flowers, names on signs and calls for taxis. Everything is stopping and starting. Traffic jam until we get across the Dnipro – everything still in place, everything still where I am from.“ (Taken from the book.)

Jelena Jeremejewa: Since September I have been wanting to go to Kyiv. Ukraine journal, translated from the German by Catherine Hales, 66 pages, 12,- € – also available in German

Jelena Jeremejewa is an artist, author and documentary film director. In her films „Der Ernst des Lebens“ (SWR) and „Irgendwo dazwischen“ (WDR) she addressed issues of systemic educational injustice and inequality of opportunity among young people with migration experience. Her fields of work are connected to her history of origin – today she conducts film workshops at schools in cooperation with various sponsors to sensitize children to radical diversity in addition to anti-semitism and racism.
Most recently, she published on divergent memory narratives within the heterogeneous Jewish community in „Neues Judentum – altes Erinnern?“ Current work is at the intersection of research and art, addressing questions of the impact of counterfactual historical narratives within post- socialist cultures of Eastern Europe.
She completed her PhD at Bauhaus University Weimar on the invisibility of trauma as individual and collective experience in Russian documentary film of the 1990s-2000s in 2019. She teaches documentary film practice at Bauhaus University Weimar and Darmstadt University of Applied Sciences.

Catherine Hales is a poet and translator who lives in Berlin. She has published two collections and one chapbook of poetry and her translations of contemporary German poetry have been published in several print and online magazines in the UK, the US and Europe.

Ich bilde Kiemen

„Der Gedichtband Meuterin der botswanischen Dichterin Tjawangwa Dema verleiht unterschiedlichen Frauenfiguren eine lyrische Stimme. Es geht in den Texten um die Rolle als Mutter, als Schwester, Ehefrau, als Arbeiterin oder eben auch als Meuterin,“ schreibt Christoph Ohrem in einer Besprechung in der Bücher-Sendung bei WDR5 über den Band.

Und weiter: „In dem Gedicht Frauen wie du heißt es: ‚Frauen wie du / packen das Messer bei der Klinge, / das Fläschchenchaos der Kinder / ist Morgenroutine.‘ Diese drastische Beschreibung von Mutterschaft, das schmerzhafte Aufschneiden der eigenen Hände, stellt Tjawangwa Dema in den nächsten Zeilen in einen gesellschaftlichen Kontext, denn diese Frauen wie du ‚Schaffen im Schatten‘, ‚So lautet der Vertrag.‘ (…) Entgegen der literarischen Tradition zelebriert Tjawangwa Dema Weiblichkeit weder als anbetungswürdiges Schönheitsideal, noch erotisiert sie diese. Sie schreibt vom Kampf um den Körper, markiert im titelgebenden Gedicht die Frau als Meuterin gegen die Verhältnisse: ‚Ich bilde Kiemen im Namen eines aufziehenden Sturms‘. Mit Kiemen überlebt ein Mensch die reinigende Sintflut, den aufziehenden Sturm gesellschaftlicher Veränderung.

Einen guten Einstieg in diese Forschung ist das Nachwort der Übersetzerin Anna Pia Jordan-Bertinelli. In diesem persönlichen kurzen Essay gibt sie Einblick in ihre Arbeit, nennt Beispiele, wie und warum sie sich für gewisse Varianten in der Übersetzung entschieden hat, und greift schließlich auch den Diskurs auf, der so prominent in den letzten Jahren wegen der Übersetzung von Amanda Gormans The Hill We Climb verhandelt wurde. Wer kann oder darf Gedichte von Schwarzen übersetzen? Anna Pia Jordan-Bertinelli Konsequenz sei es, ‚mit Dema selbst und dem Verlag […] zu sprechen, mich selbst und meine (Übersetzungs)entscheidungen immer wieder zu reflektieren und eine Sensitivity Readerin in den Übersetzungsprozess einzubeziehen‘.“ Die ganze Besprechung kann man hier nachlesen.

Knochenfauteuil

„’Unkalkulierte Attraktion von Farben‘ lautet eine Textstelle. In etwa so bieten sich die 365 vorhergesagten Gedichte von Álvaro Seiça / Mathias Traxler an. Wer übersetzt hier eigentlich wen? Traxler setzt die gängigen (kanonischen) Tradierungen außer Kraft, indem er zusammen mit dem portugiesischen Lyriker Seiça diesen Text in mehrere Spuren erweitert, verschiedene Sprachen hineinorchestriert. Es ist ein auditives Verfahren, das eher an zeitgenössische additional Tracks auf einem Remix-Pult erinnert. Traxler fügt den Gedichten hinzu, was sich wohl instrumentartig angeboten hat. Er verwischt, klärt auf, findet neue Bezüge. Auf u.a. Bandcamp kann man die auditorischen Impulse nachhören, im Band selbst – in der Kölner Parasitenpresse erschienen – berichtet das Nachwort über die wetter-respektiven Einfallsmethoden Traxlers, die Lyrik Álvaro Seiças umzufusionieren“, schreibt Jonis Hartmann in einer Besprechung bei Textem über den Band. Und weiter: Das Buch ist in endlose wundervolle Abschnitte eingeteilt, deren Genregrenzen fließen wie jede einzelne Zeile selbst. Kaum stellt sich etwas scharf oder überscharf, ist es im nächsten Moment blurred edges oder scheinbar extrem weit hergeholt. Dann wieder sehr einfach. Auch die Zeichensetzung wird stark angepasst bis verfreiheitet. Es ist die sprachliche (und grammatische) Flexibilität von Sprache, die dieses Buch feiert. Er ist weniger verstörend als atemhaft experimentell, gleichzeitig schwierig zu fassen von einem Duo, das etwas vorherzusagen hat. Übersetzung als ein Angebot.

Álvaro Seiça: 365 vorhergesagte Gedichte

In 365 vorhergesagte Gedichte (Original: Previsão para 365 poemas) von Álvaro Seiça finden die portugiesischen Gedichte, die den Corso eines ganzen Jahres beschreiten, ihre tagesgenauen Entsprechungen in den deutschen Übertragungen von Mathias Traxler. Für die Übersetzungsvorgänge dieses kalendarisch angelegten Buches wurde ein weiter Fächer an Varianten und Übersetzungs-Methoden angewendet, deren Bestandteile auch Missverständnisse, Vermutungen und eigene Weiterschreibungen sind. Aber wie ein Wanderer, in Gebirgen und an Stränden gleichermassen unterwegs, einmal sagte: „Die Stringenz jedes Weges erfordert ein Gleiches an Genauigkeit und Hingabe. So können wir den Wind immer noch vielschichtiger erfassen.“ 

Parallel zum Buch erscheint auf Bandcamp eine Sammlung von Audioaufnahmen, welche eine der Grundlagen für die Übersetzungen bildeten; sowie auch eine Reihe von Aufnahmen, die den Übersetzungshergang dokumentieren: www.traxlerseica.bandcamp.com

Álvaro Seiça: 365 vorhergesagte Gedichte. Aus dem Portugiesischen von Mathias Traxler, zweisprachig, 96 Seiten, Preis: 12,- € – ab sofort lieferbar

(Hinweis für Abonnenten: nur im Abo Restlos Alles enthalten)

Álvaro Seiça (*1983) träumt davon Vollzeit-Dichter zu sein. Er schreibt vielleicht, weil er dies nicht ist. Er veröffentlichte Permafrost (2012), Ö (2014), Ensinando o espaço (2017), Previsão para 365 poemas (2018), upoesia (2019) und Supressão (2019). Er lebt in Bergen, Norwegen. www.alvaroseica.net

Mathias Traxler, 1973 geboren in Basel, lebt in Berlin. Von ihm sind u.a. erschienen: You’re welcome (kookbooks, 2011), Unterhaltungsessays (kookbooks, 2016), Komplimente machen (hochroth, 2020).

Es knistert und raschelt

„Diesem Lyriker gelingt es in phantastischer Weise unsichtbare Bewegungen, die über das Erfahrbare hinausgehen, transparent zu machen, damit sie in unserer Phantasie aufleuchten können. Für mich ist das ein ganz wichtiger Anspruch, den ich an gute Lyrik stelle. In grandioser Weise wird Krišjānis Zeļģis diesem Anspruch gerecht. Es knistert und raschelt in seinen Gedichten, es tobt und jongliert, hinter, über und unter den Zeilen“, schreibt Kerstin Fischer über Wilde Tiere von Krišjānis Zeļģis auf ihrem Lyrikblog Lyrikatelier Fischerhaus.

Und weiter: „Der Dichter und Schriftsteller Adrian Kasnitz hat aus dem Lettischen ins Deutsche übertragen. Man muss des Lettischen nicht mächtig sein, um zu erspüren, dass hier eine sehr feine, einfühlsame Übersetzung vorliegt.“

Die Kletterpflanze unter den Literaturfestivals

Für das Stellwerk Magazin berichtet Lisa James von unserem Europäischen Literaturfestival: „Samstagmittag in Köln-Kalk. Pastellfarbene Papier-Pompons wippen im Wind, die Leute stöbern mit einem Kaffee in der Hand am bunt gemischten Büchertisch unter den Kirschbäumen, aus den Boxen tönt Musik. Auf dem Ottmar-Pohl-Platz ist eine kleine Bühne aufgebaut, rundherum stehen vereinzelt Stühle, Bänke und eine Hängematte. Kinder spielen im Hintergrund auf den Weiten des Platzes, die Sitzplätze füllen sich allmählich mit Studierenden, älteren Frauen und Männern, AnwohnerInnen – Literaturinteressierten.“

Von den Lesungen, den Gesprächen über Literatur und Übersetzung auf dem Ottmar-Pohl-Platz oder der Pflanzstelle, vom Festival als Kletterpflanze und Oktopus erfährt man im ausfühlichen Artikel hier.

Wie Narben

„Schön komponiert, ist jedes Kapitel von einer kleinen Sinneinheit getragen, die die aufeinanderfolgenden Gedichte verbindet; die Erneuerung des Menschen bei Zahnarzt und Friseur, die Narben von Natur und Mensch, oder die Wäsche, die Anzeichen eines nicht erinnerbaren Geschehnisses trägt“, schreibt Elke Engelhardt über Die Handschrift einer Nadel von Arvis Viguls in einer ausführlichen Besprechung bei Fixpoetry. „Viguls Lyrik erscheint wie eine Abfolge einzelner Schnitte, die dennoch einen Film ergeben. Vielfältig. Eindeutig. Wie Narben, die immer als Narben zu erkennen sind, auch wenn unsicher bleibt, von welcher Verletzung sie herrühren.“

cover viguls