Alexander Estis: Das Rondell

Vorne vor dem Norma ist das Rondell, das berühmte Rondell. Da kommen wir alle zusammen.
Manche schauen uns so herablassend an. Die Leute gehen vorbei und schauen so von oben. Schauen uns an wie Dreck.
Ich sag immer: Zieh meine Schuhe an, die ich damals getragen hab, geh den Weg, den ich gegangen bin, tritt dahin, wo ich hingeschissen habe, friss die Scheiße, wo ich reingetreten bin, komm den Weg wieder zurück, zieh die Schuhe aus, dann kannst du mir das Wasser reichen.
Komm zum Rondell und hör dir meine Geschichte an, danach kannst du reden. Wir haben viele Geschichten. Traurige Geschichten. Und am Rondell kommen die alle zusammen.

Im Rahmen meines Veedelsschreiber-Stipendiums in Köln-Kalk führte ich am Breuerpark ein Gespräch mit einer Gruppe von ehemaligen Obdachlosen. Ihnen verdanke ich die Idee zum vorliegenden Buch. Es beruht auf Interviews mit gesellschaftlich marginalisierten Menschen, die Obdachlosigkeit oder Drogensucht erfahren haben. Die Interviews wurden von Emina Faljić und Thomas Dahl in Köln-Kalk geführt, unterstützt durch Sprachmittler:innen und Vertrauenspersonen. Anschließend habe ich die Texte literarisch überformt; sie geben die geführten Interviews also nicht wortgetreu wieder. Die meisten Namen wurden zur Wahrung der Anonymität verändert. Der Vorstellung der Ideengeber:innen folgend, wurden die Texte in einer Komposition angeordnet, die der Rondellform nachempfunden ist: Die Texte »umkreisen« einerseits den gemeinsamen Treffpunkt in Köln, andererseits schließen die einzelnen Berichte motivisch aneinander an, bis sich der Kreis zuletzt schließt. In bisweilen poetisch deformierter Sprache spricht aus den Erzählungen dieser Menschen großes Leid – aber auch Mut, Güte, Offenheit, Menschlichkeit, Lebensfreude. Und nicht zuletzt: Phantasie. (Aus dem Vorwort von Alexander Estis.)

Das Rondell. Geschichten von Menschen auf Kölner Straßen, nacherzählt von Alexander Estis unter Mitwirklung von Emina Faljić und Thomas Dahl, mit Fotos von Fadi Elias, herausgegeben von Integrationshaus e.V., 60 S., Preis: 12,- € – ab sofort lieferbar

Alexander Estis wurde 1986 in einer jüdischen Künstlerfamilie in Moskau geboren. 1996 siedelte er nach Hamburg über. Nach Abschluss des Studiums lehrte er deutsche Sprache und Literatur an verschiedenen Universitäten. Seit 2016 lebt er als freier Autor in der Schweiz. Bisher hat Alexander Estis sechs Bücher veröffentlicht. Daneben verfasst er Kolumnen, Essays und Reportagen für FAZ, NZZ, SZ, ZEIT und andere Zeitungen. Seine Radiobeiträge sind regelmäßig auf Deutschlandfunk Kultur zu hören.
Alexander Estis ist Mitglied der Vereinigung Autorinnen und Autoren der Schweiz, des PEN Berlin und des Exil-PEN. Für seine Texte erhielt er mehrfach Auszeichnungen und Stipendien. 2021 verbrachte er als Veedelsschreiber mehrere Monate in Köln-Kalk. In der parasitenpresse erschienen von ihm bereits: Handwörterbuch der russischen Seele und Legenden aus Kalk.

Wo warst du gestern?

Mit einem Zine startet parasitenpresse leipzig ein eigenständiges Programm. Wo warst du gestern? heißt die gemeinsame Arbeit von Lynn Hansen und Luzie Kasnitz, die Texte, Zeichnungen und fotografische Arbeiten kombiniert. Es ist der Versuch, das Lebensgefühl der Generation Z auszudrücken. „Das Gestern ist ein Tier, dass die Unendlichkeit gefressen hat.“

Lynn Hansen / Luzie Kasnitz: Wo warst du gestern? 24 Seiten, Preis: 10,- € – ab sofort lieferbar

Carl E. Ricé: Das Kainszeichen

Das Kainszeichen – Geschichte einer Vergewaltigung ist das Hauptwerk des Autors und Performers Carl E. Ricé. 1992 uraufgeführt, existierte es 30 Jahre lang als Erzähl-Performance des Autors. Anlässlich von Carl E. Ricés 75. Geburtstag erscheint eine von ihm live im Studio gesprochene Fassung als Hörbuch-Doppel-CD.

Auf mehreren Erzählebenen, die zwischen schonungslosem Realismus und surrealen Alptraumwelten hin und her wechseln, schildert Carl E. Ricé die Erfahrungen seines Protagonisten Pierre: die gewalttätige und lieblose Familiensituation der Nachkriegszeit, den sexuellen Missbrauch durch einen älteren Mitschüler, die aus dem Trauma resultierenden Drogen- und Prostitutionserfahrungen.

„Sein Vortrag ist eine Mischform, die das Auditorium […] von der ersten bis zur letzten Minute packt“ (Augsburger Allgemeine). Als Erzähler dieses Textes arbeitete der Autor mehr als 20 Jahre lang in Therapiegruppen mit Sexualstraftätern.

Auf Basis des Hörbuchs und Gesprächen mit Carl E. Ricé entwickeln Studierende der Sozialen Arbeit an der Hochschule Augsburg im Auftrag der Stadt Augsburg ein Toolkit zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Kindern. Der Download-Code, der jeder CD beiliegt, gibt Zugang zu den Begleitmaterialien aus dem Hochschulprojekt, sowie einem einführenden Text und einer kommentierten Inhaltsübersicht, die das (auszugsweise) Arbeiten mit dem Hörbuch erleichtern.

„Carl Ricés eindringliche Erzählung sensibilisiert auf exemplarische Weise, wie Missbrauchsstrukturen im inner- und außerfamiliären Umfeld funktionieren. Systemische Lücken werden deutlich aufgezeigt. Damit kann sie eine wertvolle Funktion in der Aus- und Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern und anderen pädagogischen Fachkräften übernehmen.“ Diana Schubert, (Leitung Kita Stadt Augsburg, Fachkraft für Kriminalprävention)

Carl E. Ricé: Das Kainszeichen – Geschichte einer Vergewaltigung. Laufzeit: ca. 110 Min. Doppel-CD / Download inkl. Begleitmaterial für Therapie- und Ausbildungszwecke. Erscheint in Koproduktion mit gebrauchtemusik (Augsburg), Preis: 20,- €

Auch bei Bandcamp erhältlich.

Carl E. Ricé, geboren 1947 in Hamburg, lebt in Augsburg. Er ist Lyriker, Erzähler und Literatur-Performer. Seit Anfang der 1990er erweckt er durch freies Erzählen (nicht Vorlesen) Stoffe der Weltliteratur – von Dickens‘ „Weihnachtsgeschichte“ über Brechts „Geschichten vom Herrn K.“ bis zu Ingeborg Bachmanns „Malina“ – ebenso zum Leben wie seine selbst erdachten Geschichten. Eine Auswahl seiner Erzählungen erschien 1993 unter dem Titel „Henker, bitte weitermachen“ in Buchform und ist unter https://carlerice.wordpress.com erhältlich.

Alexander Estis: Handwörterbuch der russischen Seele

Was ist der Unterschied zwischen Babuschka und Matrjoschka? Warum gibt es nur in Russland richtige Birken? Wo gelangt man hin, wenn man mit der Transsibirischen Eisenbahn fährt? Warum hat die Balalaika nur drei Saiten? Worin besteht die Aufgabe des FSB? Welcher Kaviar schmeckt besser – roter oder schwarzer? Warum ist Putin fast wie Puschkin? Und vor allem: Weshalb ist die russische Seele so breit? Wer sich diese und ähnliche Fragen schon einmal gestellt hat, wird im Handwörterbuch der russischen Seele von Alexander Estis fündig werden – aber keine Antworten erhalten.

Alexander Estis: Handwörterbuch der russischen Seele, 72 Seiten, Preis: 12,- € (paradosis Bd. 16) – ab sofort lieferbar

Alexander Estis, diensthabender Kaminer der Stereotypmaschinerie. In der Schweiz ein Deutscher, in Deutschland ein Russe, in Rußland ein Jude. Zentaurischer Hybrid aus sowjetischem Säuferpoeten und ostpreußischem Altphilologen. Arbeitet in literarischen Miniaturformen, die für das Auge des großen Publikums zu klein sind. Bekanntheit erlangte er immerhin dafür, daß er keinen einzigen Roman verfaßt hat. Seine Bescheidenheit verbietet es ihm, die zahlreichen Auszeichnungen und Stipendien zu erwähnen, die er beinah erhalten hätte.

Die Karawane der Poesie in Chile

In einer Reise-Reportage für die Frankfurter Rundschau schildert der Schriftsteller Artur Becker seine Begegnungen in Chile und portraitiert darin auch den chilenischen Dichter Enrique Winter. Den Artikel gibt es online nachzulesen, die Winter betreffenden Passagen finden sich ab Seite 4.

Enrique Winter liest übrigens heute (31.5.) in Berlin in der Buchhandlung Andenbuch, am 5. Juni im Literaturklub Köln und am 7. Juni bei AHAB in Hamburg.

Cover Winter

Vorschau: Lateinamerika

Die kommenden Wochen stehen ganz im Zeichen von Lateinamerika. Neben dem lang erwarteten Gedichtband Oben das Meer unten der Himmel des chilenischen Dichters Enrique Winter, den Léonce W. Lupette, Sarah Otter und Johanna Schwering übersetzt haben, der im Mai erscheinen wird, folgt im Juni der Band Klagelieder im Gepäck von Rafael Cadenas aus Venezuela in der Übersetzung von Geraldine Gutierréz-Wienken und Marcus Roloff. Bereits erschienen ist der Bildband Die Armutslehre der Bohne mit Fotos aus Chile von Manuel Araneda. Enrique Winter wird im Mai und Juni in Deutschland auf Tour sein mit einer Release-Lesung in der Buchhandlung Andenbuch in Berlin-Kreuzberg am 31. Mai und weiteren Terminen in Hamburg, Köln und Heidelberg. Klagelieder im Gepäck stellen wir am 6. Juni in der Buchhandlung artes liberales in Heidelberg vor.

Lesungen im Oktober

Autor/innen der parasitenpresse und die parasitenpresse selbst sind im Oktober lesereisend viel unterwegs. Stationen sind dreimal Berlin und München, zweimal Frankfurt/M. und Stuttgart, einmal Hamburg, Wien und Köln. Erstmals sind wir damit in den sieben größten deutschsprachigen Städten in einem Monat präsent. Es gibt Buchpräsentationen zu Señoritas, Privatnachrichten an Lem, Ohne KosmonautenanzugFremdbestäubung und Kalendarium, es gibt Wett- und Gruppenlesungen zum Lyrikpreis München, zu Lyrik von Jetzt 3, der Hafenlesung und vielleicht als Höhepunkte die Expedition Lyrik als gemeinsame Lesung mehrerer Lyrikverlage auf der Frankfurter Buchmesse und Wer Horror liebt in der Literaturwerkstatt. Alle Termine finden sich ausführlich unter Lesungen.

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