Die Weltgeschichte ein Menschenfresser

„Mag die Weltgeschichte auch ein unverbesserlicher Menschenfresser sein, ich gebe nicht auf.“ Die Dankrede für den Kakehashi-Preis von Artur Becker, gehalten im Goethe-Institut Tokyo, ist jetzt in voller Länge in der Frankfurter Rundschau nachzulesen. Darin heißt es: „Aus einem Land zu kommen, in dem alles ständig verschwindet, die Grenzen andauernd verschoben werden und dessen Bewohner austauschbar sind, bringt mit sich – ist man Dichter – gewisse Aufgaben und sogar Verantwortung. Wie geht man poetisch, historisch, politisch, philosophisch und metaphysisch mit so einer Zerbrechlichkeit um?, fragt sich der Autor, der in Ermland und Masuren, dem ehemaligen Ostpreußen im heutigen Polen, geboren wurde und dort seine Kindheit und einen Teil seiner Jugend verbracht hat. Und warum spürt man diese Zerbrechlichkeit als verpflichtend gegenüber der Literatur und dem Menschen? Warum fühlt man sich schuldig und für all die Toten, die das wunderbare Land einst bevölkert haben, verantwortlich? Warum will man sie schließlich alle retten, die Toten und die noch Lebenden, die doch vielleicht gar nicht gerettet werden wollen oder gar müssen?“

Bücher von Artur Becker sind bei den Kollegen von weissbooks und Westend erschienen. Bei uns ist u.a. der Gedichtband Bartel und Gustabalda von ihm lieferbar.

Steine sammeln, auch Hypothesen

Unter dem Titel Steine sammeln, auch Hypothesen stellen wir am 24. April in Sankt Petersburg im Programm café D des Goethe-Instituts zur Deutschen Woche die beiden Bücher Под камнями von Thomas Podhostnik und Die Dädalus-Hypothese und andere, nicht ganz abwegige Vermutungen von Lew Naumow vor und sprechen über unser russisches Jahr. Die Lesung, an der auch die Übersetzer Alexander Kabisow und Dirk Bretschneider sowie Adrian Kasnitz teilnehmen, wird moderiert von Anastasia Patsey vom Museum für nonkonformistische Kunst. Die Lesung findet in Präsenz im Amphitheater des Kongresszentrums Lenpoligrafmasch (Аптекарский пр., д. 4, корп. 2 / Aptekarski Pr. 4, Gebäude 2) um 17 Uhr Ortszeit (16 Uhr Kölner/Leipziger Zeit) statt. Einige Teilnehmer sind online zugeschaltet.

Dem Live-Stream kann man übrigens hier folgen:

Томас Подхостник: Под камнями

Als Bestandteil unseres russischen Jahres erscheint jetzt die Erzählung Unter Steinen von Thomas Podhostnik in der russischen Ausgabe, die Alexander Kabisow aus dem Deutschen übertragen hat. Под камнями wird am 24. April in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Sankt Petersburg (mit Lew Naumow, Thomas Podhostnik, Dirk Bretschneider, Alexander Kabisow, Adrian Kasnitz u.a.) im Rahmen der Deutschen Woche präsentiert.

Томас Подхостник: Под камнями. Проза. Илюстрации Йоханны Риттер. Перевод с немецкого: Александра Кабисова, 42 ст., 10,- €

Lew Naumow: Die Dädalus-Hypothese

Sankt Petersburg war vielleicht schon immer die weltoffenste aller europäischen Großstädte. Keine Gedankenströmung und kein ästhetisches Prinzip, das dort nicht seine Spuren hinterlassen hätte. Sankt Petersburg ist ein Palimpsest. Wer dort an einer Hauswand kratzt, der findet unter einem Filmplakat von Tarkowski möglicherweise ein Zitat von Seneca. Lew Naumows Erzählungen sind das Ergebnis solcherlei Ausgrabungen. Naumow erfindet und findet die Welt in Sankt Petersburg.

Der Band Die Dädalus-Hypothese und andere, nicht ganz abwegige Vermutungen versammelt acht Erzählungen von Lew Naumow, die der Dresdner Übersetzer Dirk Bretschneider ins Deutsche übertragen hat. Sie handeln von Personen, die sich ihren Gedanken, Fähigkeiten und Welten ganz ergeben, von seltsamen auch außeriridschen Orten und Botschaften für eine spätere Zeit. Er erscheint in unserer neuen Reihe für erzählende Prosa aus Europa: PLÜ. Gleichzeitig ist der Band Teil unseres russischen Jahres und wird am 24. April im Goethe-Institut Sankt Petersburg (mit Lew Naumow, Thomas Podhostnik, Dirk Bretschneider u.a.) präsentiert.

„Ich glaube, der Gedanke, Theaterregisseur zu werden, war die allererste Idee, die mir in den Kopf kam…“ Hand aufs Herz, das ist natürlich gelogen. Es ist schlichtweg unmöglich. Aber wie das klingt! Gern sähe ich es, wenn ein zukünftiger Biograf meine Geschichte mit eben diesen Worten beginnen würde und darum werde ich nicht müde, sie wieder und wieder auszusprechen. Bislang wiederhole ich mein Mantra nur insgeheim für mich und doch hoffe ich, dass sich irgendwann einmal die Gelegenheit ergibt, den Satz laut und weithin hörbar vorzubringen, nach einer triumphalen Aufführung im „Palais-Royal“, im „dell’Angelo“ oder im „Comunale“, auf der Bühne des Royal Theatre oder im „Old Vic“…

Lew Naumow: Die Dädalus-Hypothese und andere, nicht ganz abwegige Vermutungen. Erzählungen aus dem Russischen von Dirk Bretschneider (PLÜ 001), 116 Seiten, Preis: 14,- € – ist ab sofort lieferbar

(Hinweis für Abonnent*innen: die Reihe PLÜ ist nur Bestandteil des Prosa-Abos.)

Lew Naumow, geb. 1982 in Leningrad, ist ein russischer Schriftsteller, Theaterautor, Essayist und Kulturwissen- schaftler. Seine Arbeit wurde mit russischen und internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet. Seine Texte wurden neben dem Deutschen auch ins Chinesische und Türkische übersetzt, seine Stücke an russischen und deut- schen Theatern inszeniert. Die Erzählungen des Bandes sind seinen beiden Büchern Гипотеза Дедала (Die Dädalus-Hypothese) und Шёпот забытых букв (Das Flüstern der vergessenen Buchstaben) entnommen. Wissenschaftlich beschäftigt er sich mit den künstlerischen Arbeiten von Andrei Tarkowski, Samuel Beckett, Alexander Kaidanowski, Terry Gilliam, Christopher Nolan, Sergei Paradschanow und anderen. Über den Dichter Alexander Baschlatschow schrieb er eine Biographie. Außerdem hält Naumow kulturwissenschaftliche Vorträge über Theorie und Praxis von Literatur und Kino.

Dirk Bretschneider, Jahrgang 1972, lebt in Dresden. Als gelernter Fachübersetzer überträgt er gelegentlich auch Belletristisches ins Deutsche.

Das russische Jahr / Русский год

Das russische Jahr / Русский год ist eine Reihe der parasitenpresse, die den deutsch-russischen Literaturaustausch anregen möchte. Neben der Übersetzung Под камнями (Unter Steinen) von Thomas Podhostnik erscheinen Gedichte von Adrian Kasnitz unter dem Titel Счастливые неудачи (Glückliche Niederlagen) auf Russisch. Zeitgleich werden Erzählungen von Lew Naumow unter dem Titel Die Dädalus-Hypothese und andere, nicht ganz abwegige Vermutungen ins Deutsche übersetzt. Bereits erschienen ist das Handwörterbuch der russischen Seele von Alexander Estis. Später im Jahr folgen lose in diesem Zusammenhang Berlin-Manila, das Tagebuch einer Reise mit der transsibirischen Eisenbahn, von Pablo Jofré, So glücklich war ich noch nie, Erzählungen von André Patten, die nach Sibirien und in die Ukraine führen, und der Mikro-Roman Frame von Thomas Podhostnik über das Flugzeugunglück von Überlingen, bei dem eine deutsche Fracht- und eine russische Passagiermaschine kollidierten.

Am 24. April stellen wir Das russische Jahr mit den Büchern von Lew Naumow und Thomas Podhostnik im Goethe-Institut St. Petersburg vor, das die beiden Bücher ermöglicht hat.

Русский год – это серия издательства «Parasitenpresse», нацеленная на расширение русско-немецкого литературного обмена. Наряду с уже выпущенным переводом книги Томаса Подхостника Под камнями в этом году на русском выйдет стихотворный сборник Адриана Касница Счастливые неудачи. В то же время рассказы Льва Наумова будут изданы на немецком под общим названием Die Dädalus-Hypothese und andere, nicht ganz abwegige Vermutungen. В начале года на немецком уже опубликован Толковый словарь русской души Александра Эстиса. Далее последуют дневник путешествия по Транссибирской магистрали Пабло Хофре под названием Berlin-Manila, рассказы Андре Паттен, действие которых разворачивается в Сибири и на Украине, а также микро-роман Frame Томаса Подхостника об авиакатастрофе, во время которой над городом Юберлинген столкнулись немецкий грузовой и русский пассажирские самолеты. 

Foto: (c) Thomas Podhostnik