Christian Kreis: Der grundsympathische Blick des Norman Bates

In den grundsympathischen Kolumnen und Satiren hält Christian Kreis den Zeitgenossinnen und -genossen den Spiegel vor, oft auch sich selbst. Das macht er meist charmant, manchmal spöttelnd, knabbernd – nie bissig –, manchmal derb. Immer ist der erzählende Christian Kreis eine Art ewiger Student, ewiger Sohn, ewiger Partner, selten wird er zum Poesiefestival nach Bergkarabach eingeladen. Immer behält seine katholische Freundin das letzte Wort.

Es sind kleine Beobachtungen, die aufgeschnappten Gespräche der anderen, die skurrilen Dinge, die ihm unter die Augen kommen und ihn zu satirischen Sticheleien anstacheln. Als würde er nur auf diese Provokation warten, wie eine Schildkröte, die nur darauf wartet, dass man ihr den Finger vor die Schnute hält, um munter zuzuschnappen.

Die meisten Kolumnen sind in den Jahren 2010 bis 2020 im Online-Feuilleton Fixpoetry erschienen. Einige neuere sind seitdem hinzugekommen. Die regelmäßigen Besucher der Halleschen Lesebühne Kreis mit Berg werden die Texte wieder erkennen. Alle anderen dürfen sich darauf freuen, einen großartigen Satiriker zu entdecken.

Christian Kreis: Der grundsympathische Blick des Norman Bates. Kolumnen und Satiren, 146 Seiten, Preis: 15,- € – ab sofort lieferbar

Christian Kreis, geb. 1977 in Bernburg. Sein erster Gedichtband erschien 2008 beim Mitteldeutschen Verlag. 2019 nahm er an der 1. Kolumination auf dem Säntis teil. In der parasitenpresse erschien das Halle Alphabet, das vom MDR zum Buch des Jahres 2021 aus Sachsen-Anhalt gekürt wurde. Jeden Monat liest er auf der Halleschen Lesebühne Kreis mit Berg frisch verfasste Texte. Zum nächsten Termin und zu seiner neuesten Kolumne: www.banjolyrikundgeschichten.de/

Freizeit und Nichtstun sind mir wichtig

„Die Wildheit der Gedichte des 1985 geborenen Krišjānis Zeļģis, der nach allerhand Berufs- und Auslandserfahrungen inzwischen als Bierbrauer in Riga lebt, ist vielleicht ihrem scharfen, unparteiischen Blick geschuldet. Menschen haben Probleme, werden aus ihren Wohnungen geworfen, der Strom ist abgestellt, und das Eisfach taut auf: ‚mir ist kalt / kauf Suppe / Schatz‘. Menschen schnorren sich durch WGs, stehlen Essen, klauen Geld, „und die Fischschuppen in meinem Portemonnaie stehen für Wohlstand“. In einem Text verfolgt das lyrische Ich in einem Zug die Diebin seiner Schuhe und schlägt sie: ‚das Blut tropft aus ihrer Nase auf ihren Rock / Entschuldigung sage ich‘, nur um anschließend festzustellen, dass ihm inzwischen sämtliche Fischkonserven geklaut worden sind: ’niemand hat was gesehen / niemand / hat was gesehen‘.

Man hört diese Worte förmlich ausgesprochen, lakonisch, doch mit unterdrückter Wut, sie zwingen die Leser zu einer Positionierung. Zeļģis setzt Wiederholungen geschickt ein, ihre Rhetorik, der ständige Dialog, ist eine Stärke der Gedichte: ‚mir ist Freizeit wichtig und Nichtstun / Freizeit und Nichtstun sind mir wichtig'“, schreibt Patrick Wilden über Wilde Tiere bei Fixpoetry.

Und weiter: „Wer die lakonischen, von einer spannungsreichen Menschlichkeit durchzogenen Texte von Adrian Kasnitz kennt, der seine ersten Lebensjahre an der Ostsee nicht weit von Zeļģis’ Heimat verbracht hat, erkennt bald, daß Autor und Nachdichter im Band Wilde Tiere schier idealtypisch zusammengefunden haben“.

Die Viren sollen krepieren

Lydia Haider erfindet ihre ganz eigene Form zwischen Prosa, Lyrik, Wüterich, den Haiderschen Gesang: unversöhnlich, aggressiv, präzise schneidend. Sie benutzt ziemlich scharfkantige, hochgereizte Bilder, ohne Rücksicht auf Gewohnheiten. Obwohl des Öfteren fast das Gewand der Büttenrede durchscheint, eine trunkene Kanzel in Weißglut, alle Verstärker auf full gain, wirken ihre Texte nicht billig, im Gegenteil. Durchdacht, ohne Skrupel gezielt abgefeuert. Weder oberflächlich, noch mit Tiefgang. Ein mutiger Batzen Bellen von Autorin und Verlag. Hart, komisch, echt?“, schreibt Jonis Hartmann in einer Besprechung über Wort des lebendigen Rottens bei Fixpoetry.

Durchgeknallt, in diesem Land

„‚Ich glaube, ich bin, / hier, in diesem Land, durchgeknallt‘ – diese Sentenz von Admiel Kosman, dem ältesten Autor der Sammlung (* 1957), ist durchaus wörtlich zu verstehen. Was es bedeuten soll ist schon deshalb ein lesenswertes Buch, weil die Gedichte, oft aus sprachlichen Mischformen entstanden, bislang auch im Original noch unveröffentlicht sind – als Anregung und Einladung, eine jahrhundertealte Tradition zurückkehren zu sehen, als „neue hebräische Dichtung in Deutschland“, schreibt Patrick Wilden in einer Besprechung unserer hebräischen Anthologie bei Fixpoetry.

Cover Hebrew4

Aus der posttherapeutischen Welt

„Dabei gibt es ein kleines graues Buch mit großer Sprengkraft, in dem ich all das finde, was als so bahnbrechend neu an Leif Randts Roman gepriesen wird. Die Gedichte dort, es sind nicht sehr viele, dafür sind sie sämtlich mehrere Seiten lang, beginnen mittendrin, mitten in der kaputten neopastellfarbenen, posttherapeutischen Welt, und direkt mit dem vermeintlichen oder echten Anspruch an Dichtung“, schreibt Elke Engelhardt sehr treffend bei Fixpoetry über Andre Rudolphs Ich bin für Frieden, Armut und Polyamorie – welche Partei soll ich wählen?

Und weiter: „Als direkte Ansprache fungieren sie sowieso, denn alle Gedichte beginnen mit der identischen Überschrift: ‚hallo!‘ Eine Anrede, die man als Aufruf verstehen kann, sich den Fragen auszusetzen, die die Gedichte stellen, sich nicht beruhigen zu lassen von den wiederkehrenden Refrains, denn die […] versammelten Gedichte sind in Wirklichkeit eine enorme Anklage, die direkt ins Herz der lange schon bestehenden Krankheit dieser Gesellschaft trifft. Einer Krankheit aus Hass, Angst und Orientierungslosigkeit, der sehr lange durch Verdrängung begegnet wurde.“ Die ganze Besprechung ist hier nachzulesen.

Cover Rudolph kladde

Dieses Buch ist ein Zwitter

„Was ist das für ein Buch und was hat es mit seinem eigentümlichen Titel auf sich? final image, der neue […] Band des Erfurter Dichters Mario Osterland, kommentiert, lyrisch einfühlsam, letzte Bilder von Persönlichkeiten der Pop-Kultur. Ist es also ein Gedichtband, zu dem der Geraer Künstler Alexander Neugebauer Tuschezeichnungen nach Fotografien etwa von Franz Kafka, Marlene Dietrich oder Kurt Cobain beigesteuert hat? Oder ist es eher ein Katalog mit poetischem Begleittext zur aktuellen Ausstellung in der Jenaer Villa Rosenthal?“, fragt Patrick Wilden in einer Besprechung des Bandes bei Fixpoetry. „‚Ein Album‘ lautet der Untertitel des schmalen Bändchens, und so lässt sich immerhin sagen: dieses Buch ist ein Zwitter – und zugleich ein Gang durch 170 Jahre Fotografiegeschichte.“

Cover Osterland final

Ein Lexikon der Liebe

Über Sünje Lewejohanns Liebesgedichte, „von zarten erfüllten Momenten bis zu einer Wucht, bei der die gesamte Existenz auf dem Spiel steht“, schreibt Elke Engelhardt auf Fixpoetry. „Dabei überschreiten die Gedichte immer wieder die Grenzen der Körperlichkeit, um schließlich von ihr eingeholt zu werden, zwischen Hingabe und Gewalt bewegt sich der poetische Kosmos [dieser Gedichte] selbstbewusst verletzlich von der Natur zum Körper bis zur gesellschaftlichen Sprengkraft von Gefühlen. Mit die idiotische wucht deiner wimpern eröffnet Sünje Lewejohann ihren Leserinnen ein Universum der Liebe, das Abgründe ebenso beinhaltet wie Gipfel.“ Die ganze Besprechung ist hier nachzulesen.

Cover Lewejohann

Gedichte atmen

„Dimkovskas Texte zeigen die Extreme von schwarz und weiß, bemühen sich zugleich aber um eine Palette reicher Grautöne. Man gewinnt zuweilen dein Eindruck, die Lyrikerin atmet ihre Gedichte, die aus ihr heraus müssen, die gegenwärtig sind und zugleich von zeitloser Aktualität. Sie spielt dabei nicht subtil mit Sprache, sondern sie lässt Bildern entstehen, die sie manchmal wie nebenbei kreiert“, schreibt Monika Vasik über Schwarz auf weiß von Lidija Dimkovska bei Fixpoetry. Sie „liebt Wendungen ins Surreale, die besonders dann überzeugen, wenn sie damit vermeintlich Triviales konterkariert oder das Unvermögen, etwas Unbegreifbares begreifen zu müssen, veranschaulicht. Und sie verfügt über leisen Witz, der manchmal in kleinen Wendungen aufblitzt, und neben der Melancholie gut seinen Platz findet. Ein eindrückliches Buch!“

Cover Dimkovska

Exotisches Krabbeln

„Zwei Teile hat das Buch, erst Gedicht(e), die längs und quer über die Seiten krabbeln, wie exotische Tiere, Leguan und Jaguar, Mondfisch, Fregattvögel oder die gemeinen Grackeln. Und dann Reisen im erdbebendurchschüttelten Dichterfieber durch Chiapas, angefreundet mit unendlichem Regen und zu Prosa lähmender Hitze“, schreibt Franz Hofner über Am Rande der Wahrscheinlichkeit von Mexiko von Stan Lafleur in einer halluzinierenden Besprechung bei fixpoetry.

Cover Lafleur 4