Wir machen ja eigentlich ungern Werbung für’s Fernsehen, aber diesmal muss es sein. Denn die Verfilmung von Jelgava 94 von Jānis Ābele nach dem gleichnamigen Roman von Jānis Joņevs ist zur Zeit auf Netflix zu sehen. Das Buch gibt es natürlich bei uns.
Film
Jelena Jeremejewa: Seit September will ich nach Kiew
Die Berliner Filmemacherin und Autorin Jelena Jeremejewa war zu Kriegsbeginn bei ihrer Familie in Kiew. In ihrem Tagebuch Seit September will ich nach Kiew berichtet sie von den ersten Tagen des Krieges, von ihrer Flucht und den Gedanken und Ängsten, die sie, ihre Familie und ihre Freunde haben. Sie weiß von den unterschiedlichen Perspektiven, mit denen Deutsche und Ukrainer auf das Kriegsgeschehen sehen, und versucht, die ukrainische Sichtweise zu vermitteln. Das Tagebuch umfasst den Zeitraum von Mitte Februar bis Anfang Mai.
Auszug: „16.2. Seit September will ich nach Kiew. Zu meinem Vater und meinen Freunden. Dauernd hinderte mich etwas. Abgaben, Herbstferien, Beziehungsarbeit und Sorgearbeit, einfach Arbeit, deutsche Weihnachten, Silvester, mein 40. Geburtstag, zuletzt Omikron. Am 16. Februar bin ich endlich soweit. Endlich nach Hause. Im vollen Flieger bedrückte Stimmung, deutsche Journalisten, die noch zu lachen haben und sich über überaus leckeres und unbeschreiblich günstiges Sushi in Kiew austauschen. Mein Bruder holt mich am Flughafen ab, ich atme die vertraute Februar Luft, frisch und voller Abgase, die Sprache umhüllt mich und wiegt mich in Sicherheit. Menschen freuen sich auf ihre Freunde und Angehörigen, die sie in Empfang nehmen, Blumen, Namensschilder, Taxirufe. Alles steht, alles fährt, Stau, bis wir über den Dnjepr sind – alles noch da, alles wie immer. Herkunft.“
Die Autorin wird das Buch erstmals beim Europäischen Literaturfestival in Köln (2.-4. September) vorstellen. Eine englischsprachige Ausgabe ist in Vorbereitung.
Jelena Jeremejewa: Seit September will ich nach Kiew. Ukraine-Tagebuch, 68 Seiten, Preis: 12,- € (Reihe paradosis)

Jelena Jeremejewa ist eine Künstlerin, Autorin und Regisseurin für Dokumentarfilm. In ihren Filmen „Der Ernst des Lebens“ (SWR) und „Irgendwo dazwischen“ (WDR) thematisierte sie Fragen der systemischen Bildungsungerechtigkeit und Chancenungleichheit unter Jugendlichen mit Migrationserfahrung. Ihre Arbeitsfelder sind mit ihrer Herkunftsgeschichte verbunden – heute führt sie in Kooperation mit verschiedenen Trägern Filmworkshops an Schulen durch, die die Kinder neben Antisemitismus und Rassismus auch für die radikale Vielfalt sensibilisieren sollen.
Zuletzt publizierte sie zu divergierenden Erinnerungsnarrativen innerhalb der heterogenen jüdischen Gemeinschaft in „Neues Judentum – altes Erinnern?“ Aktuelle Arbeiten bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Forschung und Kunst und thematisieren die Fragen der Wirkungsmacht von kontrafaktischen historischen Narrativen innerhalb von postsozialistischen Kulturen Osteuropas.
Ihre Promotion an der Bauhaus-Universität Weimar über die Unsichtbarkeit des Traumas als Individual- und Kollektiverfahrung im russischen Dokumentarfilm der 90er – 2000er Jahre hat sie 2019 abgeschlossen. Sie lehrt dokumentarische Filmpraxis an der Bauhaus Universität Weimar und an der Hochschule Darmstadt.
Die Ahnung von Gewalt
Eine schöne, ausfühliche Besprechung des Mikro-Romans Frame von Thomas Podhostnik ist jetzt in der Doppelnummer des DRESDNER Kulturmagazins (Dez./Jan.) erschienen. Patrick Wilden konstatiert darin eine „besonders konzentrierte Erzählweise“. Hier der ganze Text:

Demokratisierung des Blickes
„Wie der Titel das Romans andeutet, der der technischen Sprache der Filmproduktion entlehnt ist und in diesem Zusammenhang ein Einzelbild bezeichnet, bedient sich Podhostniks Schreiben Errungenschaften dieser Parraleldisziplin und sieht sich damit an der Seite solch grandiosen Vorgängern wie Arno Schmidt, der eine Reihe Kurzromane vorlegte und die Parallelen seiner Arbeiten zum Filmschnitt theoretisch beleuchtete. Podhostnik dreht die Spirale jedoch noch ein wenig weiter, denn er beschreibt in seinem Buch die Arbeit einer Crew, speziell des Kameramanns einer Crew, die Bilder und Filmsegmente für verschiedene Auftraggeber anfertigt, vom Porno bis zur Abendnachricht, beziehungsweise auf eigene Faust filmt, und das Material dann verschiedenen Verwertern anbietet“, schreibt Jan Kuhlbrodt über Frame von Thomas Podhostnik in einer Besprechung auf piqd.de
Und weiter: „Der Kameramann aber, der in der Hierarchie der Filmcrew am unteren Ende zu stehen scheint, und aus dessen Sicht das Ganze geschildert wird, entwickelt über seine Arbeit im Reflex auf dieses Phänomen eine spezifische Form der Empathie. Man könnte von einer Demokratisierung des Blickes ausgehen, was sich letztlich in Rückblenden erweist. Als Kind hat er seine Großmutter zu Putzjobs begleitet, und sie hat sich in seinen Augen auch im Putzen als Schönheit dargestellt. In der Schule wird ihm aber nahegelegt, nichts von dieser Erfahrung zu erzählen. Während seine Großmutter putzt, zeichnet der Junge und entwickelt seine Art künstlerischer Weltsicht. Das alles beschreibt Podhostnik in eindringlichen Sequenzen und Szenen, die in harten Schnitten montiert sind. Ein großes Buch von 100 Seiten.“

Thomas Podhostnik: Frame
Im Zentrum von Frame steht ein junger Kameramann, den die eingefangenen Bilder einer Unglücksnacht nicht mehr loslassen. Es ist eine Art innerer Bilderwald, in dem er nach Orientierung und einem Ausweg sucht. Aufnahmen werden zu Erinnerungen und umgekehrt. Blicke und Gegenblicke bestimmen die Motiv- und Gedankenwelt. Totes und Lebendes stehen sich gleichermaßen als Subjekt und Objekt gegenüber und beobachten einander. Die Szenen führen den Kameramann immer wieder auch zu Erinnerungsbildern aus seiner Kindheit und seiner Jugend. Verhandelt werden in dem neuen Mikro-Roman von Thomas Podhostnik auch soziale Fragen und Geschlechterverhältnisse: Wem gehören die Bilder, wem gehört die Kamera, wem gehören die Motive? Welche Erniedrigung erfährt das Motiv durch den Blick des Kameramanns und wie sehr erniedrigt sich der Kameramann beim Blick durch den Sucher? Unter welchen Konditionen veräußert der Kameramann sein Auge? Nicht nur die Rolle des Kameramanns erscheint zunehmend fragwürdig, auch der Mensch als bestimmendes Subjekt hinter der Kamera.
Im Sommer 2022 jährt sich das Flugzeugunglück von Überlingen, bei dem eine russische Passagier- und eine deutsche Frachtmaschine kollidierten. Im Juli 2002 war der Autor Teil eines Kamerateams und musste in der Nacht zur Absturzstelle eines Flugzeugunglücks. Auf der Fahrt dorthin wusste er noch nicht, dass es sich dabei um den folgenschwersten Flugunfall in der Geschichte der Bundesrepublik gehandelt hat.
Thomas Podhostnik liest am 9.9. in Köln (Paratexte, Traumathek), am 13.10. in Berlin (Volksbühne), am 20.10. in Leipzig (Westflügel), am 21.10. in Frankfurt (Parasites‘ Night, Hotel Lindley) und am 6.11. in Dresden (Hole of Fame).
Thomas Podhostnik: Frame. Mikro-Roman, 94 Seiten, Preis: 12,- € (paradosis Bd. 17) – ab sofort lieferbar

Thomas Podhostnik wurde 1972 in Radolfzell am Bodensee als Sohn jugoslawischer Gastarbeiter geboren. Er machte eine Lehre zum Speditionskaufmann, dann eine Ausbildung zum Regieassistenten am Teatro Nacional de Cuba. Er studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.
Thomas Podhostnik verfasst Prosa und experimentelle Prosa, die in Einzeltiteln, Anthologien und Literaturzeit- schriften veröffentlicht wurden. Er lebt in Leipzig. In der parasitenpresse erschienen zuletzt von ihm der Prosaband Unter Steinen (2020) und die Übersetzung ins Russische Под камнями (2021).
ELK-Film
Das ganze ELK-Festival in einem kleinen Film!
Wie Narben
„Schön komponiert, ist jedes Kapitel von einer kleinen Sinneinheit getragen, die die aufeinanderfolgenden Gedichte verbindet; die Erneuerung des Menschen bei Zahnarzt und Friseur, die Narben von Natur und Mensch, oder die Wäsche, die Anzeichen eines nicht erinnerbaren Geschehnisses trägt“, schreibt Elke Engelhardt über Die Handschrift einer Nadel von Arvis Viguls in einer ausführlichen Besprechung bei Fixpoetry. „Viguls Lyrik erscheint wie eine Abfolge einzelner Schnitte, die dennoch einen Film ergeben. Vielfältig. Eindeutig. Wie Narben, die immer als Narben zu erkennen sind, auch wenn unsicher bleibt, von welcher Verletzung sie herrühren.“
Portrait: Kinga Tóth
Das österreichische Kulturportal Creative Austria portraitiert die ungarische Schriftstellerin und Performancekünstlerin Kinga Tóth als Stadtschreiberin von Graz. Nach Wir bauen eine Stadt erscheint im Februar ihr zweiter Gedichtband Party bei uns.