Sommerliche Umarmungen und Apokalypse

„Kasnitz´ neuer Gedichtband Im Sommer hatte ich eine Umarmung zählt 87 Seiten und ist für seine Verhältnisse etwas umfangreicher geworden als sonst, denn seine Kalendariumbändchen haben uns an eine gewisse Kürze und Stringenz gewöhnt. Aber in dieser ‚regulären‘ bzw. kontinuierlichen, an Vergangenes anknüpfenden Lyriksammlung ist zum Glück alles anders: Sicherlich hat der Autor noch mehr Gedichte zur Auswahl gehabt, in sieben Jahren kann schon ein opulentes Werk entstehen, aber Kasnitz gehört eher zu den Lyrikern der leiseren und bescheideneren Töne und Stimmen. Er ist kein Moralist, und seine Gedichte sind sprachlich alle sehr präzise und sparsam gebaut, wodurch selbst eine Beschreibung der Birnbäume auf dem Lande im polnischen Ermland zu einem kleinen Gemälde, Porträt der noch intakten Natur, wird, als sähe man sich die Miniaturwelten des Rokokos an.

Rhythmisch und malerisch haben diese Gedichte viel zu bieten, die Sprache ist, wie gesagt, sparsam, aber ästhetisch wohlüberlegt, was ihnen insbesondere dann zugutekommt, wenn sich Kasnitz´ Gedichte bekannter sozialer politischer oder globaler Themen annehmen, da durch die Schönheit der Sprache und der formalen Konstruktion unser Intellekt nicht nur positiv, sondern auch kritisch stimuliert wird. Kasnitz´ Gedichte erscheinen dann einem wie sehr genaue und oft schmerzhafte Einblicke in die menschlichen Tragödien, obgleich sie etwas beschreiben, was uns auf den ersten Blick ’normal‘, bekannt vorkommt, nach dem Motto: So ist das Leben“, schreibt Artur Becker in einer Besprechnung des Bandes im Overton-Magazin, wo man die ganze ausführliche Besprechung nachlesen kann.

Und weiter: Schon das erste Gedicht [Chefs] eröffnet diesen Reigen der Blicke in verschiedene Welten, Schicksale und Momente, die für eine Lyriker niemals vergehen bzw. verloren gehen dürfen. […] Ein trauriges Gedicht, es erinnert auch an Czesław Miłosz´ Arbeiter- und Solidarność-Gedicht, das sich gegen die stalinistischen Machthaber und ihren Missbrauch der Macht richtete und Miłosz´ moralische Konflikte mit dem Stalinismus und seiner eigenen Rolle in diesem mörderischen System thematisierte: ‚Der du dem kleinen Mann auf der Straße Böses angetan hast‘ (‚Który skrzywdziłeś‘) von 1950.

Und so geht es dann im ganzen Gedichtband weiter, dem Bösen werden Namen gegeben und die Zähne gezogen. Hinter der Figur des blutrünstigen Königs Ubu aus einem absurden Theaterstück des französischen Schriftstellers, Dichters und Dramatikers Alfred Jarry (1873 – 1907) kann sich auch ein Putin verstecken, heißt es doch in dem Gedicht Père Ubu:

‚C’est merdre, wenn Père Ubu geht, geht man besser

zur Seite, jetzt geht er hinter die Karpaten, (…)

(…) isst Père Ubu, isst man lieber

woanders, schlägt er nach den Köpfen

duckt man sich besser schnell‘

Brennendes Brasilien im Gedicht Amazonas Würgevogel, wo die Wälder der menschlichen Gier und einem gestrigen Denken zum Opfer fallen, kann aber auch schon zu uns kommen, nach Europa ‒ so klein ist die Welt durch die Umweltprobleme, die Klimaänderungen und die Globalisierung geworden, wobei es ja darum geht, dass es auf unserem Planeten keine sicheren Inseln, kein Asyl, mehr gibt. Und es geht ja darum, dass sich auch nichts ändert, da sich die menschliche Natur nur schwer ändern lässt, wenn Manipulation und Instrumentalisierung des Leviathans im Spiel sind: ‚Immer sind solche Typen Tyrannen von Gott oder / anderen höheren Mächten gesegnet.‘

An dieses ‚ökologisch-antifaschistische‘ Gedicht schließt sich eines der schönsten in diesem Band an, das verträumte und zugleich leichtfüßige: ‚Mein:Herz:Hagen, die toten Wälder‘. Kasnitz lässt uns in diesem Text mit der Natur, die zerstörerisch sein kann, selbst aber genauso zerbrechlich ist wie das menschliche Dasein, eins werden:

‚Hagen, Lichtung, Licht im Wald

die lichten Bäume, die abknickenden Zweige

wo sich unsere Wege trennen, du leicht

ich abschüssig geh, an unseren Händen

klebt Harz, Rinde, Schmiere, du hörst es pochen (…)'“

Feindliche Umgebungen

„Sehr gefallen haben mir (…) die Gedichte im Zyklus Fossile Gewässer, die inspiriert wurden von den Gedichten eines anderen Apokalyptikers und Sängers von Ruinen: den Vier Quartetten von T.S. Eliot. Diesen Zyklus finde ich, man verzeihe mir das abgegriffenste aller Urteile: wunderschön. Vielleicht weil sie das Bizarre, das in diesem Band dominiert, aufwiegen durch ihre feine Machart. Hier wird aus feindlichen Umgebungen eine tiefgehende Idee von Umbruch und Verlassenheit destilliert, hier findet, so mein Eindruck, eine Transformation statt“, schreibt Timo Brandt in einer Besprechung über heimische Arten von Mario Osterland auf Fixpoetry.

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Mario Osterland: heimische Arten

Private wie urbane Räume, die hier bedichtet werden, sind trostlos, das Rurale beiläufig, aber zunehmend rituell. Die Zeichen vergletschern! Was der Mensch nicht wahrnimmt: die Ränder zur ungewissen Zukunft als auch zur dunklen Vorvergangenheit zerfasern, es entstehen Fraßbilder, irgendwo im Düsteren schließt sich der Kreis …
Mario Osterland gelingt es, uns wie nebenbei Beklemmung und schließlich Grauen einzuflößen. Mit nur leicht angehobener Alltagssprache erzeugt er Unruhe und lässt, was wir sicher glaubten, zu uralten Nebeln zerschlieren. Am Ende des Bandes sind wir überzeugt, – schreibt Crauss in seinem poetischen Gruß – nicht die Einzigen zu sein, die sich vor dem Kommenden fürchten – aber die Letzten. Das finale Wort dieses Buchs: »Angst«!

Mario Osterland: heimische Arten. Gedichte, 42 Seiten, 9,- € – erscheint heute in der Reihe ‚Die nummernlosen Bücher‘ und ist ab sofort lieferbar

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Mario Osterland, geboren 1986, lebt in Erfurt. Studierte Germanistik, Komparatistik und Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. In der parasitenpresse erschien bereits In Paris (2014).