Ohne Ballast und Extravaganz

„In der deutschen Erstübersetzung (…) der bostwanischen Dichterin Tjawangwa Dema ziehen Verse auf der Oberfläche mit leichtem Klang davon, ihre Sprache trägt keinen unnötigen Ballast, keine Extravaganz der Metaphern“, schreibt Şafak Sarıçiçek über Meuterin in einer Kurzbesprechung in der Salzburger Mosaik-Zeitschrift (37/2022). Und weiter: „Dema ist Meisterin unendlicher, weil paradoxer Bedeutungen, was in der leidenschaftlichen Übersetzung Anna Pia Jordan-Bertinellis neue Kraft gewinnt. Wortzerspaltungen trägt Dema vom Einzelnen bis in die Poltik, ganz leicht, wie es ihr eigen ist.“

Bewegung des Ausweichens und der Subversion

„Der Begriff der Meuterin verweist auf eine Ambivalenz, die zentral für Demas Gedichte ist: dass nämlich diejenige, die hier spricht, aus mindestens zwei Gründen in Bewegung ist. Erstens, weil sie zur Bewegung genötigt wird; und zweitens, weil sie selbst Bewegerin ist, sich aus sich heraus in Bewegung setzt. So wird Bewegung in Demas Gedichten stets in doppelter Hinsicht behandelt: als Flucht- und Widerstandsbewegung, als Bewegung des Ausweichens als auch der Subversion“, schreibt Lilith Tiefenbacher über Meuterin von Tjawangwa Dema in einer ausführlichen Besprechung für das Signaturen-Magazin. Und weiter: „Bis zur Berührung werden diese Pole einander angenähert, besonders eindrucksvoll in dem gleichnamigen Gedicht MEUTERIN. Während die ersten zwei Strophen die Erfahrung von Ohnmacht artikulieren (‚Ich wurde entdeckt / ein Bein zum Licht gestreckt // Sie holen mich / während ich nackt bin wie Wüstensand‘), findet in der dritten und vierten Strophe eine Verwandlung vom Patiens zum Agens statt, und zwar am Körper der Sprecherin selbst. Eben noch der Natur bloß verwandt (‚wie Wüstensand‘), entdeckt sie sich nun als eins mit ihr: ‚ich bin Regen / zwischen Schenkeln / ich bin Wald, lasse alles neu wachsen.‘ Diese Anverwandlung ist jedoch kein ‚Zurück zur Natur‘, kein Rückzug auf den Bereich des ‚Natürlichen‘, um dort Schutz vor den Grausamkeiten der Zivilisation zu finden, sondern ein Anknüpfen an die Natur – ein In-Beziehung-Treten, das sich von Ausbeutung und Unterjochung unterscheidet (…) Die Widerständigkeit der Meuterin Demas besteht in ihrer Aneignung des Schöpferischen, und zwar im doppelten Sinne: als wiedergefundene (säkulare) Beziehung mit ‚der Schöpfung‘ sowie im Wirksamwerden als Künstlerin. Demas Gedichte grenzen sich insofern auch von einem (vornehmlich weißen) Feminismus ab, der in seiner Theoriebildung patriarchale Denkmuster wie die Idealisierung des Rationalen und ein Misstrauen gegenüber allem Leiblichen tradiert.“ Die ganze Besprechung ist hier nachlesbar.

Ich bilde Kiemen

„Der Gedichtband Meuterin der botswanischen Dichterin Tjawangwa Dema verleiht unterschiedlichen Frauenfiguren eine lyrische Stimme. Es geht in den Texten um die Rolle als Mutter, als Schwester, Ehefrau, als Arbeiterin oder eben auch als Meuterin,“ schreibt Christoph Ohrem in einer Besprechung in der Bücher-Sendung bei WDR5 über den Band.

Und weiter: „In dem Gedicht Frauen wie du heißt es: ‚Frauen wie du / packen das Messer bei der Klinge, / das Fläschchenchaos der Kinder / ist Morgenroutine.‘ Diese drastische Beschreibung von Mutterschaft, das schmerzhafte Aufschneiden der eigenen Hände, stellt Tjawangwa Dema in den nächsten Zeilen in einen gesellschaftlichen Kontext, denn diese Frauen wie du ‚Schaffen im Schatten‘, ‚So lautet der Vertrag.‘ (…) Entgegen der literarischen Tradition zelebriert Tjawangwa Dema Weiblichkeit weder als anbetungswürdiges Schönheitsideal, noch erotisiert sie diese. Sie schreibt vom Kampf um den Körper, markiert im titelgebenden Gedicht die Frau als Meuterin gegen die Verhältnisse: ‚Ich bilde Kiemen im Namen eines aufziehenden Sturms‘. Mit Kiemen überlebt ein Mensch die reinigende Sintflut, den aufziehenden Sturm gesellschaftlicher Veränderung.

Einen guten Einstieg in diese Forschung ist das Nachwort der Übersetzerin Anna Pia Jordan-Bertinelli. In diesem persönlichen kurzen Essay gibt sie Einblick in ihre Arbeit, nennt Beispiele, wie und warum sie sich für gewisse Varianten in der Übersetzung entschieden hat, und greift schließlich auch den Diskurs auf, der so prominent in den letzten Jahren wegen der Übersetzung von Amanda Gormans The Hill We Climb verhandelt wurde. Wer kann oder darf Gedichte von Schwarzen übersetzen? Anna Pia Jordan-Bertinelli Konsequenz sei es, ‚mit Dema selbst und dem Verlag […] zu sprechen, mich selbst und meine (Übersetzungs)entscheidungen immer wieder zu reflektieren und eine Sensitivity Readerin in den Übersetzungsprozess einzubeziehen‘.“ Die ganze Besprechung kann man hier nachlesen.

Tjawangwa Dema: Meuterin

Unsere internationale Lyrikreihe setzen wir mit Gedichten der botswanischen Dichterin Tjawangwa Dema fort, die Anna Pia Jordan-Bertinelli ins Deutsche übertragen hat. „Die Verknüpfung von Gender und körperlicher wie emotionaler Arbeit zieht sich durch die Gedichte von Tjawangwa Dema: Mal in Gestalt der sorglosen (oder leichtfertigen, nachlässigen, achtlosen) Schneiderin, mal als Mutter, Tochter oder Schwester, als Ehefrau, Arbeiterin oder Meuterin. Dema richtet ihren Blick auf das, was gleichermaßen alltäglich wie übersehen ist, auf diejenigen, die ‚[s]chaffen im Schatten / und im Licht [sich] begnügen / mit Dingen wie Atem und Brot‘ (Frauen wie du). Der weibliche Körper, gerade in der Lyrik oft als makellos dargestellt, ist hier eben kein Ausstellungsobjekt: Er ‚blutet und vernarbt, altert, leistet Widerstand und warnt‘, wie es im Klappentext des Originals heißt. Die Frauen in Demas Gedichten erheben ihre Stimme und ihren Blick, artikulieren den female gaze auf eine männlich dominierte Landschaft” (aus dem Nachwort).

MEUTERIN

Ich wurde entdeckt
ein Bein zum Licht gestreckt

Sie holen mich
während ich nackt bin wie Wüstensand

Feucht hinterm Ohr / ich bin Regen
zwischen Schenkeln / ich bin Wald, lasse alles neu wachsen

Ich bin Sand, lasse die Fülle der Jugend verrinnen
Ich bilde Kiemen im Namen eines aufziehenden Sturms

Tjawangwa Dema: Meuterin. Gedichte aus dem Englischen von Anna Pia Jordan-Bertinelli, 60 Seiten, Preis: 12,- € – ab sofort lieferbar

Tjawangwa Dema / TJ Dema (*1981, in Gaborone/Botswana) ist Dichterin, Kulturschaffende und Honorary Senior Research Associate an der University of Bristol. Sie kuratiert und produziert Literaturfestivals und Veranstaltungen und hält Seminare und Workshops an Universitäten, Schulen und anderen Institutionen. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte war sie u.a. beim Literaturfestival Stimmen Afrikas, beim Poesiefestival in Berlin sowie bei zahlreichen weiteren internationalen Literatur- und Poesieveranstaltungen zu Gast. Ihre Gedichte wurden als Songtexte sowie für Theater- und Tanzperformances adaptiert, auf Postkarten aus einem Hubschrauber über London abgeworfen und unter anderem ins Spanische, Chinesische, Kroatische, Portugiesische und Deutsche übersetzt. 2020 war ihr Gedicht Lethe das Festivalgedicht des ZEBRA Poetry Film Festivals. Eine Auswahl ihrer Gedichte wurde 2014 unter dem Titel Mandible in der Reihe New-Generation African Poets des Afrika Poetry Book Fund veröffentlicht. Ihr Band The Careless Seamstress, aus dem die hier ausgewählten übersetzten Gedichte stammen, wurde 2018 mit dem Sillerman First Book Prize For African Poets ausgezeichnet.

Anna Pia Jordan-Bertinelli, geb. 1991 in Aachen, studierte Germanistik und Skandinavistik in Tübingen und Köln. Vor und während des Studiums Auslandsaufenthalte in Asker, Oslo und Turin. Zurzeit lebt sie in Köln und Johannesburg/Südafrika und übersetzt aus dem Norwegischen und Englischen. Für die parasitenpresse übersetzte sie Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse? von Audun Mortensen aus dem Norwegischen (2019).

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde mit Mitteln des Auswärtigen Amtes unterstützt durch Litprom e.V. – Literaturen der Welt.

Hörbuch zum ELK-Festival 2021

Für die stillen Tage gibt es nun was zum Hören, nämlich das Hörbuch zum ELK-Festival mit den Texten und Stimmen von Gisela Casimiro, Luis Luna, Mati Shemoelof, Xoşewîst, Lütfiye Güzel und Andreea Simionel sowie den deutschen Stimmen von Wassiliki Knithaki, Jonas Linnebank, Zoltán Lesi und Laura Jordan-Bertinelli. Das Hörbuch ist gratis bei Bandcamp zu finden. Produziert wurde es von Salman Abdo und Anna Pia Jordan-Bertinelli.

Das ELK-Hörbuch

Von unserem Europäischen Literaturfestival Köln-Kalk gibt es nun auch ein Hörbuch bei Bandcamp mit Texten von Rasmus Nikolajsen, Zehava Khalfa, Pablo Jofré, Margarita Athanasiou, Zoltán Lesi, Eleonore Schönmaier, Krišjānis Zeļģis und Željana Vukanac in den Originalsprachen und (wo erfroderlich) den deutschen Stimmen von Anna Pia Jordan-Bertinelli, Jonas Linnebank, Wassiliki Knithaki und Adrian Kasnitz. Ganz großen Dank an Salman Abdo, Jarek Bak und Anna Pia für die Produktion.

Was wir vorhaben (2021)

Noch liegt das neue Jahr ziemlich im Nebel. Ein paar Dinge, die wir in den nächsten Monaten vorhaben, wollen wir euch trotzdem schon verraten. In der internationalen Reihe werden die Sprachen Portugiesisch, Russisch und Spanisch eine wichtige Rolle einnehmen. Portugiesische Lyrik wird im ersten Halbjahr gleich zweimal im Fokus stehen: Laurine Irmer und Beatrice Cordier bereiten eine Anthologie mit acht jungen portugiesischen Dichter*innen vor und Mathias Traxler überträgt für uns Gedichte von Álvaro Seiça. Den Auftakt ins russische Jahr bildet Das Handwörterbuch der russischen Seele von Alexander Estis, das Ende Januar erscheinen wird. In Kooperation mit dem Goethe-Institut St. Petersburg folgen später Übersetzungen ins und aus dem Russische(n). Spanisch wird es in der zweiten Jahreshälfte, wenn wir neue Bücher von Pablo Jofré, Luis Luna (beide in der Übersetzung von Odile Kennel) und von Adalber Salas Hernández (in der Übersetzung von Geraldine Gutiérrez-Wienken und Marcus Roloff) planen. Außerdem überträgt Anna Pia Jordan-Bertinelli Gedichte der botswanische Dichterin TJ Dema aus dem Englischen, die zum Europäischen Literaturfestival Köln-Kalk (ELK3) erscheinen sollen.

Bei den deutschsprachigen Titeln werden neben Alexander Estis neue Bücher u.a. von Nora Zapf, Thomas Podhostnik, Astrid Nischkauer, Kathrin Niemela, Sünje Lewejohann und Adrian Kasnitz erwartet. Mit Gedichten von Veronique Homann ist auch ein weiteres Lyrikheft einer Debütantin in Vorbereitung. Im Frühling starten wir die neue Reihe PARADIES, die junge Prosa jenseits des Romans vorstellen wird. Erzählungen von Thomas Empl und André Patten werden die Reihe begründen, auf die wir uns – wie auf alle neuen Bücher – schon sehr freuen.

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Kölner Literaturclips: Roland Schappert

Für das Türchen Nr. 5 der Kölner Literaturclips liest Roland Schappert aus dem Band Du fällst mir leicht. Die Literaturclips sind ein Gemeinschaftsprojekt von Literaturhaus Köln, Kliteratur, Land in Sicht, Insert female artist und Literaturklub Köln. Roland Schappert kann man übrigens am 5. und 6. Dezember in seiner Ausstellung in der davidbehning galerie in Düsseldorf erleben. Dort spricht er mit Franz-Josef Heumannskämper (5.12.) und Adrian Kasnitz (6.12.) zwischen 15-18 Uhr. (Um Anmeldung wird gebeten.)

Weitere Literaturclips der neuen Staffel kann man täglich bis zum 24.12. auf dem Youtube-Kanal finden, dort sind auch die Beiträge der ersten Staffel mit Anna Pia Jordan-Bertinelli, Adrian Kasnitz, Stan Lafleur, Jonas Linnebank, Gundula Schiffer, Tobias Schulenburg u.a. zu finden.