Eine von Stille erfüllte Poesie der Welt

„‚Gedicht‘ steht unterm Titel. Aber eigentlich sind es zwei Gedichte, zwei ganz große, stille, lange. So in der Dimension von Cardenal oder Whitman, auch wenn die Landschaft, die Olav Amende beschreibt, die Stadt ist. Möglicherweise Leipzig. Eines, wie nur er es sieht. Oder gesehen hat – etwa in den ersten Wochen des Lockdowns 2020, an den sich heute kaum noch jemand erinnert.

Als die Stadt quasi menschenleer war und all dieses Hin- und Hergerenne einmal aussetzte, all die falsche Dringlichkeit, dieses Ich-bin-wichtig-Getue. So kann man es sich vorstellen, wie der Regisseur, Performancekünstler und Autor da am offenen Fenster stand und hinaussah.

Und auf Gedanken kam. Gedanken über eine Stadt, in der auf einmal alle Menschen verschwunden sind. Menschenleer. Zurück blieben nur die Gegenstände, die sie eben noch in Händen hielten, der Kaffee im Becher, das Handy mit der angefangenen Botschaft, die Tiere, die leeren Bänke in der Innenstadt, die Treppenstufen, auf denen noch zwei nasse Abdrücke von Sitzenden zu sehen sind und langsam verblassen.

Und dann kommt der Regen, der Hagel. Die blanke Natur übernimmt wieder die Regie. Und das wird zutiefst poetisch. Denn natürlich ist die Welt, in der wir leben, zutiefst poetisch. Wir nehmen uns nur fast nie die Zeit, das auch wahrzunehmen“, schreibt Ralf Julke über abwesenheiten von Olav Amende in der Leipziger Zeitung.

Und weiter: „Was so erscheint, ist natürlich die Poesie der Welt, eine von Stille erfüllte. Man darf sie wieder hören – die Vögel, die Insekten, die Regentropfen. Amende muss sie gar nicht besingen. Indem er benennt, was gerade geschieht, lenkt er den Blick. Richtig starke Poesie kommt ohne Kommentar aus. (…)

Man kann dieses Gedicht auch als Projektion lesen in eine Zukunft, in der es den Menschen mit seinem rücksichtslosen Umgang mit der Welt nicht mehr gibt. Er seine eigenen Lebensgrundlagen zerstört hat und eine Welt zurückbleibt, in der nur noch für eine gewisse Zeit seine Artefakte davon zeugen, dass er da war. Bevor Wind, Regen, Hagel und Sonne ihr wohltuendes Werk verrichten und die Dinge wieder zu Staub verwandeln.“

Beobachten das ist: „mal gar nichts damit zu machen. Mal nichts anzustellen. Mal nichts zu sezieren und zu verbrauchen. Als wäre die Welt zum Verbrauchen da. Und nicht zum Bestaunen.“ Die ganze ausführliche Besprechung gibt es hier nachzulesen.

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